Für Diplomatie und Deeskalation
Wir rufen alle auf, sich aus Solidarität mit den Menschen in der Ukraine für eine zügige Beendigung aller Kriegshandlungen einzusetzen.
Seit dem völkerrechtswidrigen Angriff der russischen Armee auf die Ukraine sind hunderttausende Menschen getötet worden. 2020 hatte die Ukraine rund 45 Millionen Einwohner; sie war bereits das zweitärmste Land Europas. Mehr als ein Drittel der Menschen sind nun auf der Flucht. Die zivile Infrastruktur wird zerstört. Die Fortsetzung des Krieges ist Fortsetzung dieser Unmenschlichkeit, einschließlich Verminung, Vergiftung der Umwelt und Traumatisierung der Menschen. Die russische Regierung muss ihren Angriffskrieg stoppen und ihre Soldaten zurückziehen.
Das alles macht einen Waffenstillstand, massive humanitäre Hilfe und solidarische Maßnahmen zum Wiederaufbau zu prioritären humanen Notwendigkeiten.
Damit die Waffen schweigen: Mehr Diplomatie wagen!
Politik und Gesellschaft sind gefordert, Deeskalation zu ermöglichen und Verständigung für einen Waffenstillstand und Frieden zu fördern. Der Wille zu ziviler Konfliktlösung und Frieden bildet die Haltung, mit der die Unterbrechung und Überwindung von Gewalt gelingen kann.
Wir lehnen daher die Lieferung von Kampfflugzeugen, Kriegsschiffen, Mittelstreckenraketen und weiteren Kampfpanzern ab. Sie würde den Auszehrungskrieg in der Ukraine verschärfen. Aufrüstung weckt bei allen Kriegsparteien zerstörerische Erwartungen, zu „siegen“ und den menschlichen Preis dafür zu ignorieren. Hingegen ist notwendig, die Ausweitung des Krieges auf andere Länder und eine nukleare Eskalation auszuschließen sowie einen baldigen Waffenstillstand zu erwirken.
Verhandlungen gibt es bereits in allen Phasen des Krieges (z.B. über Getreideabkommen, humanitäre Korridore, Gefangenenaustausch, Sicherheit der Atomkraftwerke). Sie müssen ausgeweitet werden, um die humanitäre Lage der Bevölkerung zu verbessern und Vertrauen wieder aufzubauen.
Die Geschichte zeigt, dass Deeskalation, Annäherung und Frieden ausdauernde und couragierte Initiative Einzelner, von Regierungen und aus der ganzen Gesellschaft erfordern.
Für globale Zusammenarbeit statt machtpolitischer Konfrontation.
Der Krieg ist nicht allein ein zwischenstaatlicher Konflikt zwischen Russland und der Ukraine. Es geht auch um Interessenkonflikte zwischen den Regierungen der USA und Russlands. Für deren Austragung massive sozio-ökonomische Verschlechterungen, eine Ausweitung des Krieges oder gar eine nukleare Eskalation hinzunehmen, ist nicht im Interesse der europäischen Bevölkerungen.
Die Quellen einer souveränen Entwicklung Europas sind zivil: kooperativ, ökonomisch, wissenschaftlich und sozial. Sie speisen sich aus Friedensschlüssen, Aufklärung und Menschenrechten. Sie können zum Wohle der Bevölkerungen nur zivil erhalten und weiterentwickelt werden. Mehr denn je erfordert dies bessere Beziehungen zu allen Weltteilen.
Das ist auch ein Gebot der globalen (Klima-)Gerechtigkeit. Russland ist das größte und ressourcenreichste Land der Welt. Für eine globale sozial-ökologische Wende und Energie- und Ernährungssicherheit ist Kooperation nötig. Hingegen wird die notwendige Senkung des CO₂-Ausstoßes durch Krieg, Aufrüstung und Zerstörung der Infrastruktur in eine absurde Steigerung verkehrt. Es ist an uns, die Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen durchzusetzen, anstatt auf einen unzureichenden Umbau mit neokolonialer Ressourcenpolitik, Abschottung und Militarisierung zu setzen.
Die Stärkung des Humanen – anstelle der Förderung der Rohheit.
Jede Militarisierung ist eine Fehllenkung von Investitionen. Der Ausbau von Kapazitäten der Industrie und die Ausrichtung von Infrastruktur, Bildung und Forschung auf Kriegsfähigkeit ist zerstörerische Verschwendung menschlicher Arbeit, Kreativität sowie von Ressourcen. Das ist nicht zeitgemäß. Zeitgemäß sind: Investitionen in Gesundheit, Bildung und zivile Wissenschaft, in gute Arbeit, Mobilität und Wohnraum, in soziale Prosperität und Kultur, in ein verträgliches Verhältnis von Mensch und Natur sowie für Gerechtigkeit zwischen den Staaten und Kontinenten.
Mineralölkonzerne und Rüstungsindustrie profitieren am meisten vom Krieg, während Inflation und Kriegswirtschaft zu Verarmung führen. Die Rüstungsindustrie will den Tabubruch, Waffen in Kriegsgebiete zu liefern. Eine Kriegsrhetorik – die Rede von Sieg, Ertüchtigung, Helden – sowie vereinfachtes Denken in „gut“ und „böse“ sind ein kultureller Rückfall. Vielfach erzeugen Bilder, Berichte und Besuche von den Schlachtfeldern eine Betroffenheit, die Aufrüstung plausibel machen soll. Der Schrecken des Krieges, die Bilder davon und ihre reflexartige Beantwortung mit Forderungen nach immer schwereren Waffen erzeugen einen Anschein von Folgerichtigkeit. Es droht eine Gewöhnung an den Krieg und an militärische Gewalt als legitimes Mittel der Auseinandersetzung einzutreten.
Extreme Ungleichheit und die Normalisierung des Krieges forcieren politische Tendenzen nach rechts und Mentalitäten der Gewalt. Diese Fehlentwicklungen müssen durch sachliche Aufklärung über Interessen und Ziele der Konfliktparteien, über Bedürfnisse der Bevölkerungen und mit der Stärkung ziviler Alternativen in Politik und Gesellschaft überwunden werden. Die notwendige Alternative besteht zudem in gerechter ökonomischer Regulierung und demokratischer Sozialstaatlichkeit als rational humanistische Grundlegung des solidarischen Zusammenlebens.
Diese Impulse müssen auch von den Regierungen wieder verstärkt ausgehen.
Der Weg zum Frieden ist ein Weg des Lernens.
Gegen die Spirale der Eskalation können wir aus der Erfahrung der Entspannungspolitik schöpfen. Sie basierte auf der Erkenntnis, dass „die Menschheit von der Geißel des Krieges“ befreit werden muss (Charta der Vereinten Nationen), um zu existieren und die Würde aller zu garantieren. Die Negation des Krieges ist zugleich die Eröffnung einer lebenswerten Menschheitsperspektive.
Entspannungspolitik zeitigte auf dieser Basis auch in Zeiten größter internationaler Spannungen Erfolge. Aus ihr entsprangen weitreichende Vereinbarungen zur Etablierung internationaler Institutionen für Frieden, Sicherheit und Zusammenarbeit sowie Verträge zur Rüstungskontrolle und Abrüstung. Auf diese Erfahrungen ist aufzubauen – auch um diese Verträge zügig zu reaktivieren.
Wir wissen außerdem, dass zivile Kooperationen – in Wissenschaften, Kultur, Jugendarbeit, Gewerkschaften oder humanitären Organisationen – Grundlagen für schwierige Verständigungen schaffen. Wir setzen alles daran, solche Möglichkeiten zu erhalten, zu eröffnen und auszubauen.
Der Krieg ist immer eine Kapitulation der Vernunft – mehr Rationalität wagen!
Die Schaffung einer lebenswerten Zivilisation ist eine rationale Herausforderung an alle – Bevölkerungen und Regierungen. Die Achtung und die Bekräftigung des Völkerrechts sind unverzichtbar. Der Krieg ist allein durch allseitig verstärkte Bemühungen zum Interessenausgleich, zur zivilen Konfliktlösung und friedlichen Koexistenz zu bannen. Im nuklearen Zeitalter und angesichts globaler ökologischer Gefahren ist uneingeschränkt aktuell: „Sicherheit voreinander muss durch Sicherheit miteinander ersetzt werden“ (Egon Bahr). Die europäischen Sozialdemokratien haben einen reichen Fundus an Erfahrungen, der für Kooperation statt Konfrontation aktualisiert und selbstbewusst zur Geltung gebracht werden muss.
Wir, Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, fordern und treten dafür ein:
- Diplomatie für einen baldigen Waffenstillstand priorisieren! Alle Möglichkeiten, die Kriegsparteien an den Verhandlungstisch zu bringen, humanitäre Erleichterungen zu ermöglichen, Vertrauen zu stiften und nach einer Friedenslösung zu suchen, sollen genutzt werden.
- Internationale Vermittlungsangebote unterstützen und mit eigenen Initiativen koordinieren. Die Vereinten Nationen und OSZE aufwerten. Sie schaffen den Rahmen für ernsthafte Friedensvereinbarungen und für eine internationale Friedensordnung.
- Eine Eskalation von Waffenlieferungen ist zu verhindern.
- Humanitäre Hilfe ausweiten.
- Sichere Einreise in die EU und Aufenthalt für alle Deserteure und Kriegsdienstverweigerer gewährleisten.
- Deeskalation: Das Ende von Kriegshandlungen und eine zivile Konfliktlösung ist mit Rücknahme von Wirtschaftssanktionen zu verbinden.
- Wiederaufbau der Ukraine ökonomisch und sozial nachhaltig mitgestalten.
- Umfassend und initiativ: Nukleare Rüstungskontrolle und Abrüstung erreichen.
Ferner fordern wir und treten dafür ein:
- Die SPD soll Akteurin für ein gerechtes Nord-Süd-Verhältnis und friedliche gesamteuropäische Entwicklung und Zusammenarbeit sein.
- Als Teil von Friedensbewegung und zivilgesellschaftlicher Organisationen wollen wir die Grundlagen für eine zivile Wende schaffen und bekämpfen Militarismus.
- Die innerparteiliche Diskussion über eine „Weltinnenpolitik“, die den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen dient und Frieden und Abrüstung fördert, wollen wir forcieren.